Von der Freude, Luft ran zu lassen

Luftschlösser und anderes …

Alles begann mit einer Kiste voll Postkarten von meinem Großvater oder Urgroßvater sogar. Sorgsam gesammelt, unbeschriftet, nur manchmal für mich nicht nachvollziehbare Nummerierungen darauf. Schwarz-weiß Aufnahmen aus Deutschland, Österreich, Italien, um die hundert Jahre alt. So stand sie bei mir rum diese Kiste, an wegwerfen war nicht zu denken und dann …

Mit feiner Schere und anderen Papieren erwachten die Postkarten zu neuem Leben! Vor meinen Augen türmten sich plötzlich Luftschlösser und Riesengebirge, Bäume wurden so ausdrucksstark ohne ihren Kontext, Wege so sonderbar und Hütten so voll Raum, wenn nur noch ihr Umriss stehenblieb! Seitdem schnipple ich und baue Traumwelten, kombiniere Orte, die gar nicht zusammenpassen. Setze Miniaturen in Steine, illustriere eine Katzen-Geschichte und: staune!

Wie wunderbar es ist, wenn ich Luft reinlasse in diese alten Postkarten, wenn durch Verschiebungen neue Räume entstehen und andere Perspektiven auftauchen. Wenn der Horizont ein anderer wird und Silhouetten sich verwandeln. Wie viel Raum ein Bild gewinnt, wenn nicht alles gezeigt wird oder nicht alles in alter Form.

Ein Spiel, das mich immer wieder neu anzieht. Das mir viel Begeisterndes und manche Weisheit schenkt. Ein Spiel mit altem sprödem Fotopapier, mit Feinheit und Leere und dem Neuen, das werden will, wenn ich es wage die Schere anzusetzen, um mich selbst zu überraschen.

Susanne Spinnler